Stimmrechtsalter 16? Und die Ausländer?

Kaum rückte die Covid-Thematik etwas aus den Schlagzeilen, kamen innenpolitisch wieder vermehrt Klimawandel und Minderheiten-Rechte auf. Während sich die Jugend digital über‘s Natel zu amerikanisch-globalen Themen empört oder auch engagiert, vergreist die Schweizerische Demokratie mit ihren Volksrechten und droht auszusterben. Deshalb wird wieder einmal die Herabsetzung des Stimmrechtsalters auf 16 Jahre diskutiert. Doch über eine ebenfalls denkbare Ausweitung des Stimmrechts auf integrierte Ausländer spricht kaum jemand.

Während der Herbstsession des Parlaments in Bern zum Beispiel besetzten Aktivisten den Bundesplatz, obwohl das verboten ist. Doch die öffentliche Meinung war voller Sympathie für diese «jungen Leute, die doch keine Gewalt angewendet haben». Man sei froh, dass sich die junge Generation wieder politisiere, das täte der altersschwachen Schweizer Direktdemokratie gut. Vor allem grün-rote Politiker setzen sich deshalb erneut für ein Herabsetzen des Stimmrechtsalters von 18 auf 16 Jahre ein. Man weiss, dass ganz Junge eher Sinn für links-grüne Anliegen haben als für vergleichsweise langweilige Volksinitiativen wie Steuervorlagen (16-Jährige verdienen noch nichts) oder – einmal mehr – für einen Kompromiss beim Gesundheitswesen (16-Jährige sind noch gesund).

Bei dieser Alters-Diskussion werden jedoch die zahlreichen Ausländer, die teils seit vielen Jahren hier wohnen, bereits integriert sind, und über die inländischen Medien auch informiert werden, was innenpolitisch läuft, ziemlich vergessen. Sie zahlen Steuern, dürfen aber nicht mitentscheiden. Möchte man wirklich der Vergreisung der Direktdemokratie entgegenwirken, könnte zahlenmässig ein teilweises Ausländerstimmrecht wirksamer sein als die blosse Herabsetzung des Stimmrechtsalters. Denn schätzungsweise nur etwas mehr als zwei Drittel der Bevölkerung besteht noch aus (waschechten) Schweizern: 20 bis 25% der Bevölkerung sind Ausländer, dazu kommt ein unbekannter Anteil an Schwarzaufenthaltern, Grenzgängern, Asylsuchenden und Anderen, von den Doppelbürgern ganz zu schweigen. Von diesen etwa 65 bis 70% Schweizern geht kaum je mehr als die Hälfte an die Urne (Stimmbeteiligungsprozente). Das macht noch rund ein Drittel der Bevölkerung. Etwas mehr als die Hälfte dieses Drittels, also gut 20% der Bevölkerung, setzt sich dann jeweils mit seinem Entscheid an der Urne durch. Das heisst, dass in Fällen von hoher Stimmbeteiligung etwa ein Fünftel der Bevölkerung in unserem Land der Direktdemokratie für das «gesamte Volk» entscheidet. Ist das überhaupt noch repräsentativ? Kein Wunder, dass sich die Schweizer Politiker Sorgen um ihr System machen. Um diese 20% auf vielleicht 30% zu erhöhen, würden sich von der Anzahl her die (integrierten) Ausländer vielleicht eher eignen als die zusätzlichen 16- und 17-Jährigen.

Aber: Früher setzte sich die Sozialdemokratie stark für Ausländerstimmrechte ein. Es handelte sich um Arbeiter, die ähnlich dachten wie Schweizer Arbeiter auch. Vor allem in der Westschweiz gibt es daher vielfach Stimmrechte für Ausländer auf Gemeindeebene – eben dort, wo man wohnt und sich zuerst engagiert. Heute hingegen gibt es kaum noch eine derartige Arbeiterklasse. Heute stimmen privilegierte Staatsangestellte und Intellektuelle für die Sozialdemokratie – mit hohen Löhnen, aber dem Herzen auf der linken Seite. Solche Privilegierten gibt es unter den Ausländern viel weniger. Auch unter den Jungen sind die Ausländer weniger privilegiert: Weniger Gymnasiasten, weniger Akademiker etc. als bei den Schweizer Jungen. Dazu kommt, dass ausländische Junge oft einen realen Bezug zu ihrem (manchmal sehr armen) Heimatland haben, wo sich ganz andere, oft näher liegende Probleme aufdrängen als das, was den Schweizer Jungen von weit über dem Atlantik digital auf‘s Natel eingespeist wird: «Black lives matter» oder staatenlose Hispanics sind in den USA relevant, in der Schweiz aber gibt es andere Diskriminierte – eben Ausländer! Gewaltbereite Klimanegierer, «Covidioten», Polizeigewalt und Waffen-Irre sind in den USA ebenfalls wichtige Themen, für die Schweizer Innenpolitik fallen solche Exzesse weniger ins Gewicht. Wir können sie schliesslich auch nicht beeinflussen, denn unsere Demokratie liegt in der Schweiz. Manchmal hat man das Gefühl, die Schweizer Jugend wisse vor lauter angelsächsischer, medialer Beeinflussung nicht mehr, wo sie eigentlich zuhause ist: Ab geht’s in Portland oder Milwaukee, aber die Stimmurne für die Jugend steht in Dieti- oder Opfikon. – Ausländer könnten da vielleicht etwas mehr lokale Pragmatik in der Schweiz einbringen.

Wie weit sich die wahrgenommenen Realitäten innerhalb der Schweiz manchmal schon auseinanderdividiert haben, wurde mir diesen Frühling während des Frauenstreiks bewusst: Zufälligerweise stand ich vor dem Zürcher Hauptbahnhof neben einigen in den Bahnhofs-Läden und der -Gastronomie arbeitenden Frauen aus Kroatien und dem ehemaligen Jugoslawien, die gerade Zigarettenpause hatten. Wir schauten uns das Spektakel des Frauenumzugs an. Uns fielen Massen von gut und hip gekleideten Schweizerinnen auf, die mit auf Plakate gemalten Phallen und Vaginen demonstrierten. Wir sahen Schülerinnen, Studentinnen, Bessergestellte, Gutverdienende, die diesen Tag frei bekommen hatten, die Spass hatten, den Verkehr lahmlegten und nach einem Ende der Diskriminierung der Frauen schrien. Doch die südosteuropäischen Frauen neben mir sahen sich das Ganze ziemlich fassungs- und verständnislos an: Riesenvaginen, Minderheiten-Rechte, grosses Gaudi. «Schaut euch diese Schweizerinnen an, keine arbeitet heute – uns Ausländerinnen gab man nicht frei. Dabei verdienen sie viel mehr als wir, haben mehr Rechte, weniger Kinder, können sich ihre Jobs auswählen – und sie würdigen uns Ausländerinnen, die hier für sie arbeiten müssen, während sie streiken, mit keinem Blick.»

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